Wien, die inklusive Metropole
Aktuellstes Beispiel für die international herausragenden Initiativen der Stadt Wien ist der Gewinn des "Access City Awards 2025". Der von der Europäischen Kommission und dem Europäischen Behindertenverband organisierte Preis kürt die besten Maßnahmen im Bereich der Barrierefreiheit. Unter 57 einreichenden Städten ging Wien als Siegerin hervor.
Von U-Bahn bis Schwimmbäder
Aus guten Gründen: In Wien sind alle U-Bahnstationen sowie 95 Prozent der Bus- und Straßenbahnhaltestellen barrierefrei gestaltet. Taktile Leitsysteme und der Einsatz von Niederflurfahrzeugen sorgen ebenso für Erleichterungen für Menschen mit eingeschränkter Mobilität. Von der EU-Kommission lobend erwähnt wurden auch Wiens barrierefreie Schwimmbäder und das intelligente Ampelsystem. Doch es geht nicht nur um bauliche Barrieren. Als besonders barrierefrei und inklusiv wurden von den Juror:innen des Awards auch die Förderung der Integration in den Bereichen Wohnraum und Beschäftigung erachtet - wichtige Grundlagen für ein gutes Miteinander und eine gerechte Gesellschaft.
Strukturelle Barrieren beseitigen
All das ist kein Zufall: Themen wie Integration und Diversität sind in Wiens Verwaltung fest verankert. Etwa die 2004 geschaffene Magistratsabteilung 17 "Integration und Diversität" ist für die Weiterentwicklung der Integrations- und Diversitätspolitik der Stadt Wien zuständig. Zu den Aufgaben zählen der Ausbau von Wissen rund um Migration und Zuwanderung, aber auch die Steigerung kultureller Sensibilität sowie die Identifikation und Beseitigung von Zugangsbarrieren aller Art.
In der Praxis bedeutet dies Wissensvermittlung für Dienststellen und Organisationen der Stadt Wien, um eine Grundlage für weiterführende Projekte und begleitende Maßnahmen im Bereich Integration zu schaffen. Das Ziel ist die Stärkung interkultureller Kompetenz durch gezieltes Diversitätsmanagement.
Zu den Schwerpunkten zählen etwa Spracherwerbs- und Bildungsmaßnahmen für Menschen, die neu nach Wien kommen. Wiens Bevölkerung wächst seit der Jahrtausendwende stark an. Wien zählt zu den prosperierendsten Städten in Europa. Seit 2023 hat die Stadt wieder über zwei Millionen Einwohner:innen. Eine Entwicklung, die an den Boom Wiens im 19. Jahrhundert anknüpft.
Traditionell vielfältige Stadt
Denn Wien ist traditionell ein kultureller Schmelztiegel, der die unterschiedlichsten Ethnien, Religionen und Weltanschauungen vereint. Das reicht zurück bis in die Habsburgermonarchie, als der Zuzug aus den damaligen Kronländern Wien in eine multikulturelle Metropole verwandelte.
Menschen aus den Gebieten des heutigen Tschechiens, der Slowakei, Polen, Ungarn, Italien, Kroatien, Serbien, aber auch Bosnien, Rumänien sowie der heutigen West-Ukraine strömten im 19. Jahrhundert in die Hauptstadt des Vielvölkerreichs. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Wien zur fünftgrößten Stadt der Welt, die eine entsprechende religiöse, sprachliche und ethnische Vielfalt bot.
Multireligiös und multiethnisch
Die Donaumetropole war etwa die Heimat einer der größten jüdischen Gemeinden Europas. Neben dem Katholizismus und Protestantismus trafen in Wien auch zahlreiche orthodoxe Strömungen und Menschen islamischen Glaubens aufeinander. Rund ein Dutzend verschiedene Sprachen gehörten rund um 1900 zum Alltag. Doch mit der Katastrophe des Ersten Weltkriegs und dem darauffolgenden Zerfall der Monarchie kam es zu einer jähen Zäsur. Wien war zur großen Hauptstadt einer kleinen Republik geworden, die vor vielen Herausforderungen stand.
Ära des Roten Wien
In Folge des Ersten Weltkriegs herrschten für große Teile der Bevölkerung verheerende Verhältnisse. Armut und insbesondere eine dramatische Wohnungsnot bestimmten die Nachkriegsjahre. Es war die Geburtsstunde der Ära des Roten Wien, die Wien bis heute stark prägt.
Denn mit dem Wahlsieg der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) 1919 startete ein riesiges Reformprogramm, das auf soziale Gerechtigkeit und eine Verbesserung der Lebensqualität breiter Schichten abzielte. Von 1919 bis 1934 wurde in Wien politische Utopie zur gelebten Realität. Vor allem die Reformen im sozialen Wohnbau gelten bis heute als weltweit einzigartig.
Prägende Wohnraum- und Bildungsreformen
In weniger als zehn Jahren waren rund 60.000 städtische Wohnungen entstanden, die heute noch ein wichtiger Faktor für ein leistbares Wohnen und eine soziale Ausgeglichenheit sind. Auch tiefgreifende Bildungsreformen und ein breit angelegtes Schulbauprogramm zählen zu den Errungenschaften dieser Ära, die jedoch durch den austrofaschistischen Ständestaat 1934 ein abruptes Ende fand. Die Machtergreifung durch die Nazis 1938 und der darauffolgende Zweite Weltkrieg bedeuteten herbe Rückschläge, die Wiens Entwicklung für Jahrzehnte bremsten.
Erneuter Boom
Mit der boomenden Wirtschaft der 1960er und dem damit verbundenen großen Bedarf nach Arbeitskräften wurde Wien wieder zunehmend internationaler und diverser. Auch auf institutioneller Ebene: In den 1970ern entstand in Wien einer der vier Amtssitze der Vereinten Nationen. Seit dem EU-Beitritt Österreichs 1995 und vor allem seit der EU-Osterweiterung 2006 befindet sich die Stadt in einer Boomphase. Wien vollzog einen bemerkenswerten Internationalisierungsschub. Der Grad an Diversität stieg, sei es in ethnischer, sprachlicher und religiöser Hinsicht. Dazu beigetragen haben auch die Migrationsbewegungen ab 2015. Diese Entwicklungen, aber auch eine zunehmende Ausdifferenzierung der Gesellschaft, verlangen nach einem entsprechenden Management durch die Stadtverwaltung.
Frauen im Fokus
Ein großer Fokus ist in Wien auf das Thema Frauen gerichtet. Ein zentrales Anliegen ist die Gleichstellung insbesondere in der Arbeitswelt, um Chancengerechtigkeit zwischen den Geschlechtern herzustellen. Es gibt zahlreiche Initiativen, um junge Frauen und Mädchen in diesem Bereich zu fördern und klassische Rollenmuster aufzubrechen.
Das Thema Frauen wird in Wien auf vielen Ebenen bearbeitet. Mit FEM existiert ein eigenes Gesundheitszentrum für Frauen, Eltern und Mädchen. Der Stadt ist es auch ein Anliegen, dass sich Frauen in Wien wohl und sicher fühlen. Denn Wien ist kein Ort für Gewalt, Sexismus und Ungleichbehandlung. Daher widmen sich dem Thema zahlreiche Initiativen und Einrichtungen. Etwa das Gewaltschutzzentrum Wien, eine staatlich anerkannte Opferschutzeinrichtung, die Betroffenen von Gewalt an Frauen, aber auch familiärer Gewalt und Stalking kostenfreie und vertrauliche Unterstützung bietet. Die Beratungen werden in rund zehn verschiedenen Sprachen angeboten.
Feministische Stadtplanung
Bereits seit den 1990ern ist Wien Vorreiterin in Sachen geschlechtergerechte Stadtplanung. Das betrifft den Wohnbau ebenso wie Parkgestaltungen und sogar die Benennung von Verkehrsflächen. Gerade im Bereich von Straßennamen herrscht seit jeher eine starke Männerdominanz. Wien bricht dieses Ungleichverhältnis auf.
Neue Verkehrsflächen werden gezielt nach Frauen benannt. Etwa in der Seestadt Aspern, einem der größten Stadtentwicklungsprojekte in Europa, tragen Straßen, Parks und Plätze Namen wie Simone de Beauvoir oder Janis Joplin, und ein Park ist nach Pippi Langstrumpf benannt.
Generell geht es in der feministischen Stadtplanung stark darum, Angsträume für Frauen zu vermeiden. Dazu gehört etwa ein gut ausgeleuchteter öffentlicher Raum. Finstere und verwinkelte Tiefgaragen sollen gar nicht erst geplant werden. In der Wiener Stadtverwaltung existiert sogar eine eigene Leitstelle für "Alltags- und Frauengerechtes Planen".
Wien ist Regenbogenstadt
Wien gilt international als besonders LGBTIQ+-freundliche Städte und steht für ein Klima der Offenheit und Toleranz. Mit Veranstaltungen wie der Regenbogenparade und der Vienna Pride setzt die Stadt ein starkes Zeichen für Vielfalt. Die Stadt Wien unterstützt zahlreiche Initiativen in diesem Bereich.
Eine wichtige Institution ist die WASt, die Wiener Antidiskriminierungsstelle für LGBTIQ+-Angelegenheiten. Diese Einrichtung bietet allen von Diskriminierung betroffenen homo-, bi-, transsexuellen und intergeschlechtlichen Wiener:innen Hilfe. Die WASt leistet Aufklärungsarbeit und sensibilisiert für das Thema. Zudem ist es Teil des Rainbow Cities Netzwerk (RCN). Das RCN setzt sich für den Schutz und die Unterstützung der LGBTIQ+-Community ein, um die soziale Inklusion zu fördern und nachhaltige, lebenswerte Städte für alle zu schaffen. Zu dieser Vereinigung gehören auch Städte wie Amsterdam, Berlin, Barcelona, Kopenhagen, Genf, Montreal, Sao Paulo und San Francisco. Internationale Rankings loben Wien für Toleranz, Sicherheit und die lebendige LGBTIQ+-Community, was die Stadt zu einem beliebten Reiseziel für queere Menschen macht.
Soziale Einrichtungen aller Art
Wien ist auch für seine herausragenden Sozialeinrichtungen bekannt. Einen innovativen Ansatz im Gesundheitsbereich verfolgt Cape 10. Ein Gesundheits- und Sozialzentrum, das benachteiligte und armutsgefährdete Menschen unterstützt. Es bietet medizinische Versorgung, psychosoziale Betreuung und einen Raum für Projekte im Bereich Gesundheit und Soziales. Wien ist auch die Heimat von bemerkenswerten Social Businesses, die gesellschaftliche Herausforderungen kreativ lösen. Denn wirtschaftlicher Erfolg und soziales Handeln stellen keinen Widerspruch dar.
Mit Magdas existiert sogar ein Hotel, das als Social Business betrieben wird. Das von der Caritas initiierte Hotelprojekt bietet Menschen mit Fluchthintergrund Arbeitsplätze und bildet diese entsprechend aus. Magdas betreibt auch eine Großküche, die etwa Senior:innenheime beliefert. Genauso sind Recycling-Projekte und ein Reinigungsunternehmen Teil dieses außergewöhnlichen Social Businesses.
Auch die Vollpension fungiert als Social Business, mit dem Ziel, etwas gegen soziale Isolation und Altersarmut zu tun. In zwei Wiener Kaffeehäusern backen und servieren Omas und Opas köstlichen Kuchen. Keynote-Vorträge, ein Buchtelmobil und Aktivitäten wie Back-Sessions oder Stadtsparziergänge mit den Senior:innen vervollständigen das Angebot der Vollpension.
Unterstützung für Obdachlose
Eine wichtige Einrichtung im Bereich der Obdachlosenhilfe ist die VinziRast, die Teil der Wiener Vinzenzgemeinschaft ist und diverse soziale Einrichtungen betreibt. Neben der VinziRast-Notschlafstelle, die Obdachlosen spontane Hilfe bietet, gehört etwa auch das VinziRast-CortiHaus dazu - ein Projekt, das Menschen, die zuvor obdachlos waren, wieder einen festen Wohnplatz zur Verfügung stellt. Genauso betreibt VinziRast ein Lokal in der Wiener Innenstadt und forciert Projekte, die Menschen mit laufendem Asylverfahren eine Tagesstruktur bieten.
Eine weitere Initiative im Bereich Obdachlosigkeit ist Shades Tours, ein Social Business, das besondere Stadtführungen anbietet. Diese Touren werden von Menschen geleitet, die selbst von Obdachlosigkeit betroffen sind. Ziel von Shades Tours ist es, für das Thema zu sensibilisieren, aber auch den Betroffenen eine Erwerbsmöglichkeit und damit die Reintegration in den Arbeitsmarkt zu bieten. Neben den Themen Armut und Obdachlosigkeit widmet sich Shades Tours auch Stadtführungen zu Themen wie Sucht und Drogen.
Vulnerable schützen
Doch auch der Klimawandel verlangt nach Maßnahmen, um Benachteiligte und Vulnerable in den heißen Sommermonaten zu unterstützen. Menschen, die unter der großen Hitze leiden, jedoch in ihren Wohnungen keine Abkühlung finden, können eine der "Coolen Zonen" der Stadt Wien aufsuchen. Zur Verfügung stehen zwölf verschiedene Standorte, die sich quer über die Stadt verteilen. Es warten kühle Räume und kalte Getränke, aber auch eine Zone für sozialen Austausch, WLAN sowie notwendige Infrastruktur wie WCs. Entstanden ist die Initiative im Rahmen der Smart Klima City Strategie, die sich den vielfältigen Herausforderungen rund um den Klimawandel widmet.
Inklusion auf allen Ebenen
Ein besonders wichtiger Player der Stadt Wien im Bereich der Inklusion ist der Fonds Soziales Wien (FSW). Mit dem Programm "Inklusives Wien 2030" legt der FSW eine langfristige Strategie für die Unterstützung von Menschen mit Behinderung bis 2030 fest. Das Programm forciert die Förderung der Selbstbestimmung und gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft. Die Einbindung in Entscheidungsprozesse gehört ebenso zu den Aufgaben wie die Zusammenarbeit mit Behindertenorganisationen und der Stadtverwaltung. Die Leitlinien behandeln wichtige Themenbereiche wie Kinder, Wohnen und Ausbildung, aber auch Arbeit, Beratung, Empowerment sowie Partizipation und Freizeitangebote. Schließlich misst sich der Entwicklungsgrad einer Gesellschaft nicht zuletzt an ihrem Umgang mit sozial benachteiligten Menschen.